Politische Perspektiven:
III.6. Solidarisches Miteinander der Generationen

(1) Unsere Gesellschaft kennzeichnet ein tiefgreifender demographischer Wandel sowie eine beträchtliche Veränderung des Generationenverhaltens. Steigende Lebenserwartung und stagnierende Geburtenzahlen erhöhen das Durchschnittsalter der Bevölkerung. Aufgrund verbesserter sozialer Bedingungen können Menschen länger aktiv bleiben, es schließen sich an das Erwerbsleben weitere Lebensabschnitte an. Insgesamt verwischen sich die Grenzen zwischen Jugend, Erwerbsleben und den verschiedenen Stufen des Alters immer mehr, und auch die einzelnen Generationen werden differenzierter und uneinheitlicher.

(2) Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stellen uns diesem gesellschaftlichen Wandel, der gelebte Generationensolidarität braucht, um ein hohes Maß an Lebensqualität für alle sicherstellen zu können. Unser politisches Ziel ist es, sowohl den Lebensinteressen aller Altersgruppen bestmöglich zu entsprechen als auch das Verständnis und den Austausch zwischen den Generationen in einer "Gesellschaft des langen Lebens" zu unterstützen. Für eine neue generationenübergreifende Politik folgt daraus, daß wir Jugendpolitik und Politik für die Älteren nicht als isolierte Bereiche ansehen dürfen.

(3) Denn die Bedingungen, unter denen wir aufwachsen und leben, bestimmen und prägen nicht nur unsere ökonomische Lage, sondern auch unsere Gewohnheiten, Werte und Ansprüche bis ins hohe Alter. Ob jemand in Würde altern kann, wird nicht erst im Alter bestimmt; vielfach sind schon frühere Lebensabschnitte entscheidend. Politisch aktive Seniorinnen und Senioren etwa sind in der Regel schon früher politisch interessiert gewesen und haben die entsprechenden Anforderungen und Möglichkeiten bereits ab der Jugendzeit erfahren und gelernt. Integrative Politik der Generationen umfaßt deshalb in ihrem vollen Verständnis die Bereiche des Bildungssystems, des Arbeitslebens, der Familienverhältnisse, der Gesundheit, der Gestaltung des Lebensumfelds, der kulturellen, sozialen und politischen Teilhabe und der ökonomischen Sicherung und Vorsorge.

(4) Kinder sind nach unserer Überzeugung Bürgerinnen und Bürger mit eigenständigen Rechten, nämlich dem Recht auf Zuwendung, Betreuung inner- und außerhalb der Familie und Ausbildung, dem Recht, so zu leben und sich so zu verhalten, wie sie es selbst wollen, sowie dem Recht auf Schutz vor Gewalt. Das Fördern von Fähigkeiten, Kreativität, Kritikfähigkeit und Selbstbewußtsein ist eine wichtige Voraussetzung für die Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten im ganzen Leben.

(5) Jugendliche müssen reale Möglichkeiten der Mitbestimmung und der politischen Beteiligung erhalten, damit sie ihre Wünsche, Ansichten und Ziele einbringen und im demokratischen Prozeß der Willensbildung auch umsetzen können. Die ersten Erfahrungen mit demokratischen Entscheidungsprozessen sind für junge Menschen für ihr Leben prägend. Deshalb treten wir für die Einbeziehung von Jugendlichen in demokratische Entscheidungsprozesse ein. Politik mit Jugendlichen statt nur für Jugendliche sichert im Sinne umfassender Demokratie, daß die Anliegen der Jugend im politischen Leben ernst genommen werden. Wir wollen die SPÖ zu einer Plattform für die Beteiligung Jugendlicher am politischen Prozeß entwickeln. Auch der sich entwickelnden Kinder- und Jugendlichenkultur soll ensprechender Raum gegeben werden.

(6) Unsere Gesellschaft ist zusehends geprägt von vielfältigen Formen menschlichen Zusammenlebens. Als politische Kraft für Freiheit und gegen Bevormundung sehen wir es als Bereicherung, daß sich immer weniger Menschen in traditionelle Verhaltensmuster zwängen lassen. Wir unterscheiden nicht zwischen "besseren" und "schlechteren" Formen des Zusammenlebens, für uns sind das Wohl der Menschen, insbesondere der Kinder, das Selbstbestimmungsrecht des Menschen und seine soziale Verantwortung entscheidend.

(7) Wir verstehen unter Familie jede Form des dauernden Zusammenlebens in partnerschaftlicher und demokratischer Form, die den einzelnen Mitgliedern dieser Gemeinschaft Solidarität, Anteilnahme und Schutz bietet. Wir wollen die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, um die Lebensbedingungen der Familien weiter zu verbessern und eine familien- und kindergerechte Gesellschaft schaffen. Jede Form der Familie ist vom Staat durch eine Mischung aus Transfer- und Sachleistungen, steuerlichen Maßnahmen und sozialversicherungsrechtlichen Leistungen zu unterstützen. Dabei müssen soziale Gesichtspunkte und daher die Unterstützung einkommensschwacher Familien - oft Jungfamilien, Alleinerzieherinnen und Alleinerzieher sowie Mehrkindfamilien - Vorrang haben. Im Mittelpunkt hat das Wohl des Kindes zu stehen.

(8) Da wir dafür eintreten, neben den traditionellen Formen der Familie auch andere Formen des Zusammenlebens lebbar zu machen, muß dies auch deren schrittweise gesetzliche Anerkennung zur Folge haben. Bestehende Diskriminierungen für gleichgeschlechtliche Partnerschaften sind in Richtung rechtlicher Gleichstellung zu überwinden.

(9) Die verschwimmenden Grenzen zwischen Jugend, Erwerbsleben und Alter erfordern auch flexible Antworten auf diese neuen Herausforderungen. Dazu gehören die Förderung des lebensbegleitenden Lernens, Modelle des gleitenden Übergangs in die Pension ebenso wie anderen Formen der Weitergabe von beruflicher Erfahrung nach Ende des Erwerbslebens an Jüngere, aber auch Wohnformen, die den Bedürfnissen unterschiedlicher Altersgruppen entsprechen und somit verhindern, daß besonders im dichtverbauten Raum nach Generationen getrennte Wohnzonen entstehen. Auch mit Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, die nicht nur auf Seniorinnen und Senioren fixiert sind, wollen wir die Integration der verschiedenen Generationen unterstützen.

(10) Wir treten dafür ein, ältere Menschen in Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse aktiv einzubeziehen. Die Mitbestimmung der älteren Generation muß auf allen politischen Ebenen durch Partizipationsmodelle gewährleistet sein, die den spezifischen Bedürfnissen des Alters entsprechen.

(11) Wir wollen Rahmenbedingungen schaffen, die es älteren Menschen erlauben, möglichst lange aktiv, selbständig und im von ihnen bevorzugten Umfeld zu leben und dieses mitzugestalten. Wesentliche Voraussetzung für ein Altern in Würde ist materielle Sicherheit. Wir treten daher für ein gerechtes und effizientes Pensionssystem - einschließlich einer eigenständigen Alterssicherung für Frauen - ein. Wir bekennen uns zu sozial vertretbaren Reformen und strukturellen Anpassungen zum Zweck der langfristigen Absicherung, um Rückschläge in der Alterssicherung zu verhindern.

(12) Der Generationenvertrag stellt für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nach wie vor das gesellschaftliche Fundament einer stabilen Alterssicherung dar. Um die Solidarität zwischen den Generationen nachhaltig zu stärken, sollen unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Entwicklung, insbesondere der Wertschöpfung, zusätzliche Formen der Finanzierung entwickelt werden. Betriebliche und individuelle Vorsorge stellen Ergänzungen der gesetzlichen Altersversorgung dar.

(13) Menschen, die im hohen Alter krank sind und leiden, haben ein Recht auf menschenwürdige Betreuung. An ihren körperlichen und seelischen Bedürfnissen orientierte und erschwingliche Formen der Pflege wollen wir für sie gewährleisten, wobei sich die Pflege daheim, ambulante Formen der Betreuung und stationäre Einrichtungen ergänzen.

(14) Zur Würde des menschlichen Lebens zählt auch die Würde des Sterbens. Daher treten wir für humane Sterbebegleitung und für eine offene Diskussion aller damit zusammenhängenden Probleme ein, lehnen aber Tötung auf Verlangen ab.