Politische Perspektiven:
III.3. In Sicherheit leben - Dimensionen der Wohlfahrtsgesellschaft

(1) Gerade in Zeiten rapiden gesellschaftlichen Wandels, in denen von allen Menschen mehr Bereitschaft zur Veränderung, zu Mobilität und Flexibilität gefordert wird, sind Gesellschaft und Staat gefordert, für die Sicherheit der existentiellen Lebensgrundlagen zu sorgen. Nur auf Basis dieser Sicherheit sind gesellschaftlicher Zusammenhalt, sozialer Frieden und die Voraussetzungen für die freie Entfaltung jedes und jeder Einzelnen gewährleistet.

(2) Sicherheit und Wohlfahrt verstehen wir dabei in einem sehr umfassenden Sinne: Das Ziel der Vollbeschäftigung gehört ebenso dazu wie solidarische Sicherungssysteme für Alter, Krankheit, Behinderung, Unfall und Arbeitslosigkeit sowie ein sozial gerechtes System von Transferleistungen. Bewährte Prinzipien unseres Sozialsystems, wie Selbstverwaltung, Pflichtversicherung, Umlageverfahren und Bundesbeitrag, dürfen nicht zerschlagen werden. Wirkungsvoller Schutz vor Armut, sozialer Ausgrenzung, Gewalt und Verbrechen, zufriedenstellende Wohnverhältnisse sowie ein Bildungssystem, das niemanden ausschließt, sind weitere unverzichtbare Elemente.

(3) Menschen mit Behinderungen, Opfer von Unfällen, chronisch Kranke und andere Benachteiligte haben einen Anspruch auf Hilfe und Betreuung, sodaß ihre Lebensqualität und Leistungsfähigkeit durch Ausbildung, durch Behandlung und Rehabilitation sowie durch spezifische Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt so weit wie möglich wiederhergestellt wird. Sie haben auch einen Anspruch auf ein gesellschaftliches Umfeld, das ihnen zusätzliche Erschwernisse erspart. Ziel aller Maßnahmen muß sein, diesen Menschen gleiche Möglichkeiten der Teilnahme an der Gesellschaft zu ermöglichen.

(4) Wir sind überzeugt, daß ein leistungsstarker und finanziell gesunder Staat im Interesse aller Menschen gelegen ist. Nur er kann insbesondere den Schwächsten in der Gesellschaft helfen, nur er kann jenes soziale Netz spannen, das diejenigen auffängt, die die Solidarität der Gesellschaft brauchen, ob aus Gründen der Arbeitslosigkeit, der Behinderung, des Alters oder der Krankheit. Reformen, die diese Funktion des Staates langfristig absichern, werden von uns deshalb aktiv gestaltet. Wir verstehen ein starkes soziales Netz nicht als gnädigen Akt gegenüber den Schwächeren in unserer Gesellschaft, sondern als wichtiges Instrument für die gerechte Verteilung des gemeinsam erwirtschafteten Wohlstands. Hinter den Forderungen, dieses Netz aufzuknüpfen oder gar zu zerreißen, steht Unwissen, kurzsichtiger Egoismus, Neid oder Interesse an der Spaltung der Gesellschaft. Solche Forderungen werden auch in Zukunft auf entschiedenen Widerstand der Sozialdemokratie stoßen.

(5) Wir wollen aber ständig überprüfen, ob die einzelnen Elemente des Wohlfahrtsstaates auch optimal leisten, was sie leisten sollen. Es muß darauf geachtet werden, daß tatsächlich denen geholfen wird, die in Notlage geraten sind. Zur Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger gehört auch die Bereitschaft, im Rahmen gegebener Möglichkeiten selbst vorzusorgen, der verantwortungsvolle Gebrauch von Leistungen der Gemeinschaft sowie die Pflicht, sich persönlichen und finanziellen Beiträgen für die Gemeinschaft nicht zu entziehen.

(6) Wir befürworten eine Verlagerung der verwendeten Mittel in Richtung Vorbeugung und Vorsorge statt nachträglicher Behandlung. Wir treten für die Angleichung und Harmonisierung sämtlicher Elemente der solidarisch finanzierten sozialen Sicherung ein - auch der heute noch berufständisch unterschiedlichen Versicherungssysteme.

(7) Wir wollen allen Menschen ermöglichen, erschwinglichen Wohnraum zu bekommen. Öffentliche Wohnungspolitik muß den sozialen Wohnbau forcieren und Förderungen nach dem Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit einsetzen. Auch den sozial Schwächsten und Betreuungsbedürftigen muß menschenwürdiges Wohnen ermöglicht werden. Klare, die Rechte der Wohnungsbenützerinnen und -benützer schützende Regeln sind für alle Wohnformen zu gewährleisten. Unser besonderes Augenmerk gilt daher auch einem sozialen Mietrecht.

(8) Der Wohlfahrtsstaat muß eine gesicherte Basis für alle Menschen schaffen. Nur eine sichere Existenz schafft die Grundlage für Selbstbestimmung, Selbstbewußtsein und Freiheit. Eine moderne Wohlfahrtsgesellschaft besteht aber nicht nur aus dem staatlichen Sozialsystem. Eine solidarische Gesellschaft muß von den Menschen selbst gewollt und gelebt werden. Soziale Sicherheit läßt sich mit Transferleistungen allein nicht sicherstellen, sondern braucht auch vernetzte soziale Dienste zur Erbringung von Sachleistungen sowie das Engagement und die Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger selbst. Ehrenamtliches Engagement, private gemeinnützige Einrichtungen spielen eine wichtige Rolle. Initiativen, die sich im sozialen Sinn für Benachteiligte einsetzen, verdienen - als wertvolle Ergänzung zu unserem Sozialsystem - daher Unterstützung und Förderung.