Politische Perspektiven:
III.1. Arbeit für alle in einer zukunftsorientierten Wirtschaft

(1) Arbeit bestimmt die Entfaltung der Persönlichkeit und des Selbstwertgefühls, des Selbstbewußtseins der Menschen. Alle Formen gesellschaftlich notwendiger Arbeit, auch Familien- und Gemeinschaftsarbeit, müssen daher - insbesondere zwischen Männern und Frauen - gerecht und solidarisch verteilt werden.

(2) Die Erwerbsarbeit vermittelt soziale Anerkennung, bestimmt Lebenschancen und sichert materielle Unabhängigkeit. Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ist daher heute die wichtigste Aufgabe der Sozialdemokratie, Vollbeschäftigung bleibt unser oberstes Ziel.

(3) Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten geht es aber auch um die inhaltliche Weiterentwicklung von Erwerbsarbeit zu einer befriedigenden, dauerhaft existenzsichernden, eigenverantwortlichen und gleichberechtigten Tätigkeit im sozialen Zusammenhang.

(4) Eine humane Arbeitswelt setzt - für beide Geschlechter - die Vereinbarkeit von Beruf und Familie voraus. Wir setzen uns für Arbeitszeitregelungen sowie für die Schaffung von Kinderbetreuungseinrichtungen ein, die den Bedürfnissen sowohl der Kinder als auch der Eltern entsprechen. Diese Einrichtungen müssen allen, unabhängig von ihrer sozialen Situation, zugänglich sein.

(5) Für uns ist der Mensch der Maßstab des Wirtschaftens. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Unternehmerinnen und Unternehmer haben ein gemeinsames Interesse an einer starken Wirtschaft, haben aber auch in vielen Bereichen unterschiedliche Interessen, wie z.B. im Bereich der Einkommensverteilung. Wir wollen diese Interessensgegensätze partnerschaftlich überwinden, weil wir der Überzeugung sind, daß nur faire Verhältnisse im Arbeitsleben eine geeignete Basis für eine gute soziale und wirtschaftliche Entwicklung darstellen, was im Interesse aller am Wirtschaftsprozeß Beteiligten gelegen ist. Wir wollen Veränderungen aktiv gestalten, wir wollen Mut zum Wandel und wir wollen Sicherheit im Wandel bieten. Nur dadurch wird es möglich sein, daß Veränderungen nicht als Bedrohung abgewehrt und verweigert, sondern als Chance begriffen und angenommen werden.

(6) Im Arbeitsprozeß selbst geht es uns um die Sicherung fairer Partnerschaft und Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die auf einem partnerschaftlichen Modell der betrieblichen und überbetrieblichen Steuerung beruhende Wirtschaftsweise hat gerade in Österreich bewiesen, daß hohe Produktivität und soziale Gerechtigkeit vereinbar sein können.

(7) Steigende Lebensqualität, soziale Sicherheit und Vollbeschäftigung beruhen auf einer leistungsfähigen Volkswirtschaft. Daher besteht ein gemeinsames Interesse aller an der Leistungskraft und internationalen Wettbewerbsstärke der österreichischen Wirtschaft. Politik kann und soll nicht den Einsatz und die Initiative der in der Wirtschaft Tätigen ersetzen. Auf der Basis einer vernünftigen Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern bzw. deren jeweiligen Interessenvertretungen sowie den politisch Verantwortlichen können aber jene Rahmenbedingungen geschaffen werden, die steigenden Wohlstand und dessen gerechte Verteilung sowie neue Arbeit und bessere Verteilung der bestehenden Arbeit möglich machen.

(8) Funktionierende Märkte und fairer Wettbewerb leisten einen wichtigen Beitrag zur Förderung des Wohlstands durch ihren Zwang zu effizienter und preiswerter Erbringung von Leistungen und Gütern im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher. Wir treten daher für offene Märkte und gegen bestehende und neue Monopole mit ihren Nachteilen und Kosten ein. Ein modernes Wirtschafts- und Kartellrecht hat daher die Aufgabe, das Funktionieren des Markts zu gewährleisten. Wo die Bedürfnisse der Menschen durch den Markt nicht sozial gerecht befriedigt werden können, treten wir für die Regulierung der Marktkräfte beziehungsweise für die Erbringung oder Bereitstellung von Leistungen durch die öffentliche Hand ein.

(9) Der Ertrag wirtschaftlichen Handelns muß gerecht verteilt werden. In einer solidarischen Gesellschaft muß nicht die Gleichheit, sondern die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen ihre Rechtfertigung beweisen. In diesem Sinne akzeptieren wir Einkommensunterschiede, die durch besondere Leistung, Belastung oder Verantwortung begründet werden. Aber auch diese müssen dort ihre Grenzen finden, wo sie das Prinzip der gleichen Teilnahme an der Gesellschaft infrage stellen. Wir treten für ein System von Steuern und Abgaben sowie von sozialen Transferleistungen ein, das eine gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung gewährleistet.

(10) Wir treten im Interesse der gerechten Verteilung von Arbeits- und Einkommenschancen für eine den spezifischen Bedürfnissen und Möglichkeiten entsprechende Verkürzung der Arbeitszeit ein. Dies bedeutet in erster Linie eine Unterstützung der Gewerkschaften bei ihren diesbezüglichen Initiativen, aber auch die Stärkung individueller Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zur Verbindung des Arbeitslebens mit Bildungszeiten und Freizeitblöcken. Durch eine bessere Verteilung der Arbeitszeit wollen wir auch erreichen, daß Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht vorzeitig aus dem Erwerbsprozeß gedrängt werden.

(11) Wir setzen uns für eine Qualifizierungsoffensive ein, insbesondere für ein breites Angebot an lebensbegleitenden Chancen des zusätzlichen Erwerbs von Bildung und Qualifikation sowie für entsprechend gesicherte Bildungsfreistellungen und -karenzen - mit begleitenden Förderungsmaßnahmen.

(12) Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist eine zentrale politische Aufgabe, deshalb treten wir für aktive Arbeitsmarktpolitik ein. Arbeitslose dürfen nicht einfach sich selbst und den mit der Arbeitslosigkeit verbundenen psychischen und wirtschaftlichen Problemen überlassen werden. Wir wollen ihnen mit gezielten Maßnahmen ermöglichen, daß sie wieder eine Tätigkeit finden, die Selbstwertgefühl und Anerkennung gibt. Insbesondere bekennen wir uns daher zu Maßnahmen, die Frauen den Einstieg, den Wiedereinstieg und das Fortkommen im Beruf erleichtern. Wir treten für die öffentliche Förderung von Arbeit ein, die nicht marktvermittelt nachgefragt oder erbracht werden kann, aber konkrete Lebensbedürfnisse befriedigt.

(13) Wir befürworten eine gezielte Wachstumspolitik, staatliche Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, steuerliche und geldpolitische Maßnahmen, die Investitionen in den produktiven Sektor begünstigen und spekulativen Kapitaleinsatz auf nationalen und internationalen Finanzmärkten belasten. Wir befürworten die steuerliche Entlastung des Faktors Arbeit und die Belastung des Verbrauchs natürlicher und nicht vermehrbarer Ressourcen. Wir treten dafür ein, die Finanzierung des Sozialversicherungssystems auf eine breitere Basis zu stellen, die auch andere Elemente der Wertschöpfung enthält.

(14) Um Wohlstand und soziale Sicherheit zu erhalten sowie um die Nutzung der neuesten Entwicklungen in Wissenschaft und Wirtschaft zu gewährleisten, setzen wir uns für eine verantwortliche und gesellschaftlich kontrollierte und mitfinanzierte Forschung im Interesse der Menschen ein. Wir treten für eine Vernetzung der Klein- und Mittelbetriebe ein, damit sie gemeinsam in die Lage versetzt sind, europaweit und mit entsprechenden Forschungseinrichtungen zu kooperieren und so ihre Wettbewerbschancen zu erhöhen.

(15) Die Sicherstellung österreichischer Entscheidungszentren in wichtigen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen ist von besonderer Bedeutung, um so die Grundlage der Weiterentwicklung von Produkten und Leistungen, aber auch der Qualifikation von Beschäftigten in Wirtschaft und Wissenschaft im Lande zu halten. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für einen österreichischen Beitrag in einer weltoffenen, auf Partnerschaft, Kooperation und Wettbewerb angelegten Wirtschaft, aber auch für die längerfristige Sicherung von Beschäftigungschancen.

(16) Eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik hat sowohl auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene der Makroökonomie als auch auf der Ebene der Struktur- und Wettbewerbspolitik anzusetzen. Gesamtwirtschaftlich bedeutsam ist vor allem die Sicherung einer dem Ziel der Vollbeschäftigung entsprechenden Nachfrage bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf Preisstabilität. Entsprechende Maßnahmen müssen auf nationaler Ebene, vor allem aber auch auf europäischer Ebene, getroffen werden und eine funktionierende Koordination der Wirtschafts- und Sozialpolitik sicherstellen.

(17) Durch eine sich selbst überlassene Internationalisierung der wirtschaftlichen Beziehungen steigt der Druck auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, dem Arbeitsmarkt billig und flexibel zur Verfügung zu stehen. Um ein verantwortungsvolles Wirtschaften im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Konsumentinnen und Konsumenten zu gewährleisten, wollen wir auf internationaler Ebene gleiche Rahmenbedinungen für die Weiterentwicklung der Wirtschaft schaffen. Die Konvergenz sozial-, arbeitsmarkt-, fiskal- und umweltpolitischer Steuerungsmaßnahmen auf möglichst hohem Niveau ist deshalb für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten unumgänglich. Zur Umsetzung dieses Grundsatzes bedarf es der internationalen Stärkung sozialdemokratischer Parteien und der Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmervertretung.

(18) Gemeinsam mit den europäischen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sowie anderen, die unsere Wert- und Zielvorstellungen teilen, wollen wir ein soziales und wettbewerbsfähiges Europa verwirklichen. Wir wollen die Harmonisierung der Steuersysteme vorantreiben, um eine gerechte Verteilung bei der Finanzierung der Staatsaufgaben sicherzustellen. Auch die abgestimmte Ökologisierung der europäischen Steuersysteme wollen wir durchsetzen.

(19) Der Prozeß der Globalisierung der Wirtschaft bietet für die davon betroffenen Menschen sowohl Chancen als auch Risiken. Unser sozialdemokratisches Wirtschaftsmodell der solidarischen Leistungsgesellschaft verbindet Leistungsfähigkeit mit sozialer Sicherheit und setzt auf Innovation durch partnerschaftliches Wirtschaften. Das Zusammenspiel dieser Eigenschaften bestimmt den Gesamterfolg unseres Modells im globalen Wettbewerb der Systeme.