IV. Demokratische Erneuerung als Prinzip -
das Selbstverständnis der SPÖ

(1) Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen für politisches Gestalten im Interesse der Menschen. Die SPÖ ist eine Partei mit klaren Grundsätzen und richtet sich gegen politische Beliebigkeit und Populismus. Wir wollen in einem Prozeß der ständigen Veränderung eine neue und bessere Gesellschaft verwirklichen. Unsere politische Aufgabe bleibt aktuell, so aktuell wie die Grundsätze und Grundwerte, von denen wir ausgehen.

(2) In unserer sich dynamisch verändernden Gesellschaft erheben Bürgerinnen und Bürger in wachsendem Ausmaß den Anspruch, selbst Träger des Prozesses dieser Veränderung zu sein; gleichzeitig sind viele skeptisch gegenüber staatlichen Einrichtungen, aber auch gegenüber Interessensvertretungen und Parteien. Nur wo Menschen verantwortlich Politik mitgestalten und erfahren können, wo sie ihre Vorstellungen einbringen können, werden die Kräfte freigesetzt, die die politische Kultur in der sozialen Demokratie braucht.

(3) Die Partnerschaft zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und den demokratischen Einrichtungen muß neu begründet werden. Sie muß vor allem offener und dialogorientierter werden. Für die Demokratie bleiben aber politische Parteien unverzichtbar, um Interessen legitimiert zu organisieren und zu vertreten. Bei diesem Bekenntnis allein darf es allerdings nicht bleiben:

(4) Politik ist für uns undenkbar ohne Diskussion. In der Art, wie wir diskutieren, müssen die Ziele, für die wir eintreten, erkennbar sein. Im Wettstreit um die politische Gestaltung heiligt der Zweck nicht die Mittel. Wir bejahen den Grundkonsens mit all jenen gesellschaftlichen Kräften, die sich zu den Grundrechten und Grundregeln der Demokratie und der Verfassung bekennen. Dieser Konsens muß in der Form der Auseinandersetzung sichtbar bleiben.

(5) Politische Kultur benötigt die Spannung zwischen Zukunftsentwurf und Wirklichkeit. Unsere politischen Ziele werden dann wirksam, wenn sich selbstbewußte Bürgerinnen und Bürger darin wiedererkennen. Unsere Politik beruht auf der Akzeptanz und dem Erstreben von Mehrheiten, ohne daß dadurch Minderheiten in ihren Rechten und in ihrer Würde eingeschränkt oder diskriminiert werden.

(6) Offenheit gegenüber der Gesellschaft und Demokratie nach innen bedingen sich in der Sozialdemokratie wechselseitig. Ihre Basis ist eine breite Mitgliedschaft und die Bereitschaft vieler, aktiv mitzuarbeiten, sich selbstbewußt einzubringen und ihre politische Überzeugung im Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern zu vertreten. Alle Mitglieder müssen gestaltend an der Politik der Partei im Sinne unserer Grundwerte mitwirken können. Menschen, die bereit sind, sich in Parteien zu engagieren, sind wichtige Träger unseres demokratischen Systems.

(7) Das Bekenntnis zur Geschlechterdemokratie muß auch innerhalb der eigenen Bewegung mit Leben erfüllt sein. Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern muß auch für unsere innerparteilichen Entscheidungsprozesse sowie die Besetzung von Funktionen und Mandaten gelten. Es ist unser Ziel, vermehrt Spitzenpositionen mit Frauen zu besetzen, weil Chancengleichheit und Fairneß für alle Positionen gelten muß. Davon wird auch Signalwirkung für Frauen in anderen gesellschaftlichen Bereichen ausgehen.

(8) Mitglieder der Sozialdemokratie, besonders aber Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Funktionärinnen und Funktionäre, Mandatarinnen und Mandatare sollen in ihrem Engagement für die Ziele unserer Bewegung Vorbilder sein und sich daher in ihrem beruflichen und privaten Leben an sozialdemokratischen Grundsätzen orientieren und diese in ihrer politischen Arbeit konsequent beachten und vertreten. Auch deshalb ist für die SPÖ die optimale und demokratische Auswahl von Mandats- und Funktionsträgerinnen und -trägern von zentraler Bedeutung.

(9) Für Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten steht fest: In dem Maße, in dem wir den Anspruch erheben, die Gesellschaft zu reformieren und zu modernisieren, in dem Maße müssen wir unsere eigene Tätigkeit und unsere Organisation kontinuierlich weiterentwickeln. Die Grundwerte, die wir in der Gesellschaft verwirklichen wollen, müssen auch der Arbeit in unserer Partei zugrundeliegen und mit Leben erfüllt werden.

(10) Für uns kann das nur bedeuten, den Weg einer dynamischen Organisationsentwicklung, einer radikalen Öffnung und einer Belebung unserer Organisationskultur fortzusetzen. Das heißt unter anderem, vielfältige Formen der Mit- und Zusammenarbeit anzubieten und neue flexible Mitbestimmungsmöglichkeiten bei der Formulierung unserer Politik zu entwickeln, vor allem auch für die jüngere Generation. Es bedeutet auch, Eigeninitiative und - wo sie an sozialdemokratischen Grundsätzen orientiert ist - Selbstorganisation zu unterstützen und eine Plattform dafür zu bieten.

(11) Auf diese Weise wollen wir gewährleisten, daß alle aktiven und kreativen Menschen, die sich für eine gerechtere Welt einsetzen wollen, in der SPÖ mitarbeiten können - in unterschiedlicher Form und unabhängig davon, aus welchen Gründen sie sich engagieren möchten.

(12) Längst ist unbestritten, daß Sozialdemokratie und Religion keine Gegensätze darstellen. Wir freuen uns, daß religiöse Botschaften, die zu Nächstenliebe und zum Eintreten für die Schwachen aufrufen, für viele Menschen ein Motiv zum Engagement in der Sozialdemokratie sind.

(13) In unserer vielfältigen Gesellschaft ist das Bündnis politischer und gesellschaftlicher Kräfte oft die notwendige Basis für die Durchsetzung einer Politik der Veränderung. Wir suchen die Partnerschaft mit allen fortschrittlichen und gesellschaftspolitisch engagierten Gruppen, Organisationen und Initiativen.

(14) Eine besondere Verbundenheit gibt es auch zwischen Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung, insbesondere wenn es um die Verbesserung des Lebensstandards der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der sozial Schwächeren geht.

(15) Ein Dialog, ein Bündnis, ein Kompromiß mit Andersdenkenden ist dann möglich, wenn sie die grundlegenden Werte der Zweiten Republik, wie insbesondere Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, soziale Sicherheit, Toleranz und Gleichberechtigung, nicht in Frage stellen und ihre Politik nicht auf Haß oder Ausgrenzung aufbauen.

(16) Wir streben politische Verantwortung an, weil wir glauben, mit diesem Programm über das beste Konzept für die Zukunft unseres Landes und für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft zu verfügen. Wir laden Mitglieder und Freunde der Sozialdemokratie sowie darüber hinaus alle Bürgerinnen und Bürger ein, mitzuarbeiten, demokratisch mitzuentscheiden und damit mitzuhelfen, daß wir alle, aber auch unsere Kinder und deren Nachkommen in einer humanen, friedlichen, sozialen und gerechten Welt leben können.