Neue Herausforderungen -
neue Lösungen

(1) Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind dem Ideal einer humanen, demokratischen und gerechten Gesellschaft verpflichtet. Wir streben eine Gesellschaft an, in der Klassengegensätze überwunden sind, in der Probleme friedlich gelöst werden und in der sich die menschliche Persönlichkeit frei von Angst und Not entfalten und ihre Fähigkeiten entwickeln kann.

(2) Dieses Ideal einer humanen Gesellschaft ist jenes Ziel, um dessen schrittweise Verwirklichung wir uns im demokratischen Wettbewerb mit anderen politischen Konzeptionen bemühen.

(3) Das Streben nach Verwirklichung des uralten Menschheitstraums von einer gerechten Gesellschaftsordnung, in der alle Menschen in Frieden und Freiheit leben ist weiter lebendig und bietet auch für das 21. Jahrhundert die Grundlage für solidarische Arbeit an der Realisierung des sozialdemokratischen Ideals.

(4) Die Sozialdemokratie stützt sich auf Frauen und Männer, die bereit sind, an der Verwirklichung sozialdemokratischer Ziele mitzuarbeiten, die sich zu solidarischem Verhalten gegenüber ihren Mitmenschen bekennen und im Sinne dieses Bekenntnisses handeln.

(5) Dem Programm der Sozialdemokratie liegt ein Menschenbild zugrunde, wonach alle Menschen als vernunftbegabte und zu Verantwortung fähige Wesen mit gleichen Rechten und Pflichten geboren und mit gleicher Würde ausgestattet sind; es liegt ihnen eine Geschichtsauffassung zugrunde, wonach die Geschichte ein offener und nicht determinierter Prozeß ist, der Chancen und Risken enthält und der von uns Menschen in Wechselwirkung mit unserer Umwelt gestaltet wird.

(6) Die österreichische Sozialdemokratie betrachtet sich als Teil der großen Gemeinschaft sozialdemokratischer Parteien in Europa und auf der ganzen Welt.

(7) Die österreichische Sozialdemokratie ist eine Partei der Reformen und der Veränderung zum Wohle der Menschen. Im Laufe ihrer stolzen Geschichte von mehr als hundert Jahren haben Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten die Gesellschaft auf dem Boden der Demokratie nachhaltig verändert und ein beachtliches Maß an sozialer Gerechtigkeit erkämpft. Österreich weist heute eine hohe wirtschaftliche und politische Stabilität auf, bietet umfassende Rechte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer modernen Wirtschaft, hat einen ausgebauten Wohlfahrtsstaat und ist international anerkanntes Mitglied der Völkergemeinschaft.

(8) Der gesellschaftliche Fortschritt, für den die Sozialdemokratie steht, muß immer wieder neu erkämpft werden. Unsere Grundwerte - Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität - haben in Zeiten rapiden gesellschaftlichen Wandels besondere Bedeutung. Die Mittel und Wege ihrer Verwirklichung gestalten wir entsprechend den geänderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen. Heute muß die Sozialdemokratie neue Antworten auf die zunehmende Internationalisierung der Wirtschaft und des Kapitals, die wachsende Abhängigkeit aller Märkte und Gesellschaften voneinander, den sich verschärfenden Wettbewerb und die beschleunigte technologische Entwicklung finden, die zur Konsequenz haben, daß mit immer weniger Arbeitskräften immer mehr Produkte erzeugt werden. Wir streben weiterhin die Überwindung der schwersten und vielfach gesundheitsgefährdenden körperlichen Arbeit durch den Einsatz modernster Technologien an. Unser zentrales Ziel ist freilich das Sichern und Schaffen von bezahlter Erwerbsarbeit, die den Lebensunterhalt sichert und die Chance für ein sinnerfülltes Leben vergrößert. Wir bekennen uns daher zum Recht auf Arbeit.

(9) Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben in unserem Parteiprogramm aus dem Jahr 1978 die "Welt, die wir verändern wollen", beschrieben. Wir haben auf die großen Fortschritte verwiesen, die wir in den vorangegangenen Jahren erzielen konnten, aber auch auf neue Gefahren und Probleme, die sich aus der Veränderung der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ergeben. Die Feststellung, daß sich die SPÖ "von einer Partei der Arbeiter zu einer Partei aller arbeitenden Menschen" entwickelt hat, hat nichts von ihrer Gültigkeit verloren.

(10) Seither sind weitere zwei Jahrzehnte vergangen, das Tempo der gesellschaftlichen Veränderungen hat sich nicht verlangsamt, sondern eher beschleunigt. Sozialdemokratisch mitbestimmte Politik hat nicht nur geholfen, das Wohlstandsniveau zu heben, sondern auch, traditionelle Fesseln des Denkens und Handelns zu überwinden. Dadurch haben sich die Lebensgewohnheiten der Menschen teilweise tiefgreifend verändert. Die Lebenserwartung hat zugenommen, die politischen Strukturen sind vielschichtiger und flexibler geworden.

(11) Das kommunistische System in der Sowjetunion und in anderen europäischen Staaten ist zusammengebrochen, die Nachkriegsordnung hat sich verändert. Österreich ist Mitglied der Europäischen Union geworden, die sich auf die nächsten Schritte der Erweiterung vorbereitet. Diese hier bloß skizzierten Veränderungen haben viele Menschen verunsichert. Auch der Nationalismus in seiner häßlichsten Form hat in Teilen Europas wieder sein Haupt erhoben und hetzt Menschen gegeneinander.

(12) Die wirtschaftliche Entwicklung hat deutlich an Dynamik der Veränderung gewonnen. Geographische Entfernungen beginnen ihre Bedeutung zu verlieren, die Mobilität der Menschen nimmt zu. Der internationale Konkurrenzdruck wächst als Ausdruck sich angleichender Verwertungsbedingungen des Kapitals.

(13) Viele dieser Entwicklungen werden unter dem Schlagwort "Globalisierung" zusammengefaßt, und es erfordert Weitblick und Urteilsfähigkeit, um die Chancen und Risken dieser Entwicklungen, ihre positiven und negativen Auswirkungen richtig einschätzen zu können.

(14) Die Arbeitslosigkeit in Europa ist angestiegen, manche traditionelle Instrumente zu ihrer Bekämpfung verlieren ihre Wirksamkeit. Ein rücksichtsloser Neoliberalismus und ein unsozialer Neokonservativismus versuchen, aus diesen Entwicklungen dauerhafte Vorteile zugunsten der Kapitalinteressen und zu Lasten der arbeitenden Menschen zu ziehen.

(15) Gleichzeitig bietet sich aber auch die große Chance, Europa nicht nur weiter zusammenzuführen, zu einer Stabilitäts- und Friedenszone zu entwickeln, seine Wirtschaftskraft zu erhöhen, eine gemeinsame Währung aufzubauen, sondern Europa zu einer gemeinsamen Heimat der Menschen und ihres friedlichen und sozial gesicherten Zusammenlebens mit gleichen Chancen zu entwickeln und somit zu einem weltweit bedeutsamen Pfeiler für Demokratie und Stabilität zu machen.

(16) Diese Entwicklung wird nur durch eine gemeinsame politische Kraftanstrengung einer geeinten europäischen Sozialdemokratie sowie Hand in Hand mit einer geeinten europäischen Gewerkschaftsbewegung zu verwirklichen sein.

(17) Da im Mittelpunkt unserer Politik der Mensch steht, können wir es nicht hinnehmen, wenn Menschen zu rechnerischen Größen und Kostenfaktoren degradiert werden und so ihre Lebenschancen geopfert werden.

(18) Es ist kein Zufall, daß die Sozialdemokratie in den letzten Jahren zur größten politischen Kraft in Europa aufgestiegen ist und daß in vielen Staaten der EU Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eine führende Rolle spielen, denn die Bürgerinnen und Bürger Europas vertrauen darauf, daß die Sozialdemokratie Reformen durchführt, aber soziale Stabilität bewahrt, daß sie die Kraft zur Veränderung hat, aber das menschliche Maß nicht aus den Augen verliert; mit einem Wort, daß das Europa der Zukunft auf sozialdemokratischen Grundwerten aufbaut und in diesem Sinne auch über die Grenzen Europas hinaus wirksam wird.

(19) Die österreichische Sozialdemokratie will mit diesem Grundsatzprogramm klare Orientierung geben. Sie will klar machen, wodurch sich politisches Handeln von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten auszeichnet und warum das Eintreten für unsere Ziele nicht nur vernünftig, sondern für ein friedliches Zusammenleben in einer lebenswerten Welt geradezu notwendig ist. Im Wettbewerb mit anderen demokratischen Parteien in unserer Gesellschaft halten wir die Unterschiede zu diesen Parteien für wesentlich.

(20) Wir laden alle Menschen ein, mit uns gemeinsam die Zukunft im Sinne unserer Grundwerte zu gestalten.